Die liebeskranke Herzogin

veröffentlicht am
Dienstag
22 Februar 2022

Duchessa d'Argyll
La duchessa d'argyll
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Großbritannien in den 60ern: Es war das Jahrzehnt, in dem der Roman Lady Chatterleys Liebhaber von D.H. Lawrence – aufgrund seiner sexuell konnotierten Inhalte bis dahin auf der schwarzen Liste der verbotenen Bücher – erstmals auf dem britischen Markt erschien, in dem die Designerin Mary Quant den Minirock erfand und die Homosexualität legalisiert wurde. Außerdem waren da die Beatles, die Rolling Stones und das Swinging London, diese pulsierende Stadt, die sich zum weltweiten Angelpunkt der kreativen Kunst- und Musikszene, des genussvollen Lebens und des jungen Tatendranges entwickelt hatte, in einem Jahrzehnt, das zwischen 1967 und 1969 in weitreichende Studentenproteste an britischen Hochschulen mündete. Doch all diese Entwicklungen scheinen Lichtjahre entfernt zu sein von den Ereignissen, die sich am 8. Mai 1963 in einem Gerichtssaal in Edinburgh abspielten, als Margaret Campbell Herzogin von Argyll das von ihrem Ehemann angestrebte Scheidungsverfahren verlor. Oder war es in Wirklichkeit sie, und mit ihr die „feine“ Gesellschaft Großbritanniens, die neben der kulturellen Revolution, die draußen bereits das ganze Land auf den Kopf stellte, einfach nicht mehr zeitgemäß war?

88 LIEBHABER

Es sind zwei Welten, die nicht miteinander kommunizieren, ja in völligem Gegensatz zueinander stehen: Margaret wird beschuldigt, Ehebruch begangen zu haben (mit sage und schreibe 88 Liebhabern!), Fotos, die sie bei eindeutigen „Obszönitäten“ zeigen, gelangen aus dem Gerichtssaal bald an die Boulevardpresse und begründen so den gesellschaftlichen und finanziellen Ruin der verwöhnten Tochter eines schottischen Millionärs, die in New York aufgewachsen war und als Jugendliche mit der Familie nach London zog. Sie war eine Frau, die bei ihrem Eintritt in die Gesellschaft mit 18 Jahren als die „schönste Debütantin aller Zeiten“ galt und mit einer Party, die damals 40.000 Pfund kostete, von sich reden machte. Danach zog sie in London unbekümmert von Club zu Club, immer mit neuen Begleitern an ihrer Seite. Ihr erster Ehemann war ein Investmentbanker und Amateur-Golfer aus den USA, in zweiter Ehe heiratete sie Anfang der 1950er-Jahre den Herzog von Argyll.

 

EIN LEBEN AUF DEN TITELSEITEN

Sie umgab sich mit Schauspielern, Politikern und Mitgliedern des Königshauses, war eitel und liebte den Luxus. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Betrachtet man die Kehrseite, kommt eine Abtreibung zum Vorschein, zu der sie der Vater mit 15 Jahren zwang, und ein Ehemann – besagter Herzog von Argyll, der weder ihrem Geld noch zwielichtigen Bekanntschaften abgeneigt war –, der sich als Alkoholiker, spielsüchtig und gewalttätig erwies. Hätten diese schwerwiegenden Details aus Margarets Leben ausgereicht, um den blamablen Ruf der Herzogin in den verlogenen, puritanischen Kreisen der britischen Aristokratie und in der öffentlichen Meinung zu rehabilitieren? Nein, sicher nicht, im Gegenteil: Die Herzogin wurde zu der Skandalfigur ihrer Zeit, eine unbequeme Persönlichkeit, die man am liebsten unter den Teppich gekehrt hätte. Erst als 1995 die Oper „Powder Her Face“ von Thomas Adès – die nun auch in Bozen gezeigt wird – auf die Bühne kam, wandelte sich das Bild von ihr. Im vergangenen Jahr machte schließlich die BBC jene Frauenfeindlichkeit, deren Opfer Margaret geworden war, zum Thema der TV-Miniserie „A Very British Scandal“. In einer anderen Oper, die mehr als 200 Jahre alt ist, verbrauchte ein gewisser Don Giovanni ungeniert und selbstgefällig mehr als 1000 Geliebte, und bis heute wird der Ausdruck „er ist ja ein richtiger Don Juan“ mit einer Mischung aus Neid und Wohlwollen ausgesprochen. Aber das ist eine andere Geschichte.

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